Menschen verbinden - promitto Dialoge in bewegten Zeiten


„Neue Perspektiven, bringen neue Gedanken!
Neue Gedanken, bringen neue Perspektiven!“

Geprägt von diesem Ausspruch entdecken wir im Gespräch mit Menschen aus unserem Netzwerk und KundInnenkreis hilfreiche Antworten zu Fragen, die uns gerade besonders beschäftigen.

Menschen verbinden –
Dialog mit Florian Koschitz

Unser zweites Gespräch führen wir mit Florian Koschitz. Florian Koschitz ist Psychotherapeut (Systemische Familientherapie) und arbeitet mit Jugendlichen, Erwachsenen, Paaren und Familien.


Wie geht es dir?

Mir geht es in der gegenwärtigen Situation tatsächlich sehr gut. Ich habe etwas mehr Zeit als sonst mit meiner Partnerin. Wir nutzen unsere gemeinsame Zeit dafür, zu Hause gut zu kochen, räumen das Haus auf und erledigen einige Projekte im Garten und für unsere Tiere. Da mein Fitnesscenter wie alle anderen Sportstätten geschlossen hat, trainiere ich jetzt mehr zu Hause. Ich merke, dass es für mich auch emotional ein guter Ausgleich ist, mich körperlich zu betätigen. Außerdem nutze ich die Zeit, um regelmäßiger zu meditieren.

Wäre eine Welt ohne Angst besser?

Definitiv nicht. Angst ist ein überlebensnotwendiger Instinkt, der uns darauf hinweist, dass wir auf eine Gefahr reagieren müssen (könnten). Angst erhöht unsere Aufmerksamkeit, Reaktions- und Handlungsbereitschaft. Viele Psychotherapeuten sagen, dass Angst ein evolutionäres Erfolgsmodell ist. Wer von unseren Vorfahren keine Angst hatte und dadurch für Gefahren unaufmerksam war, sorgte dafür, dass mehr Säbelzahntiger ein Abendessen hatten.
Ich meine aber, eine Welt ohne Panik könnte eine bessere Welt sein. Panik lähmt. Sie lässt uns in Handlungsunfähigkeit erstarren, engt die Wahrnehmung ein, erzeugt einen Tunnelblick, lässt körperliche Stressreaktionen übermäßig belastend ausfallen. Entscheidungen – sofern sie überhaupt getroffen werden – werden dabei weitestgehend irrational und überhastet. Die Anfälligkeit für Fehleinschätzungen und Wahrnehmungsverzerrungen steigt massiv. Es lohnt sich, seine eigene Angst und individuelle Angstauslöser kennen zu lernen und einschätzen zu lernen, worauf man selbst besonders reagiert. Das versetzt uns in die Lage, intuitive Wahrnehmungen und kognitive Fähigkeiten gemeinsam zur Entscheidungsfindung zu nutzen.

Was tun, wenn man als Vorbild gegenüber seinen Kindern am Ende ist?

Ich habe unlängst in einem Forum gelesen: „Unsere Kinder werden sich kaum daran erinnern, was dieser Virus genau war, vielleicht auch nicht daran, was für Symptome er mit sich brachte. Unsere Kinder werden sich daran erinnern, wie wir in dieser Zeit reagiert haben, welche Stimmung zu Hause war und wie wir miteinander umgegangen sind.“
Als Psychotherapeut und Familientherapeut stimme ich dieser Aussage vollends zu.
Daraus folgt aber eben auch die Frage: „Wie gehe ich damit um, wenn ich selbst am Limit bin?“
Ein guter Umgang in Extremsituationen beginnt damit, selbst wahrzunehmen, dass man sich in einer solchen befindet. Gefühle wegzudrücken erhöht den Innendruck und macht einen explosiven Gefühlsausbruch wahrscheinlicher. Nehmen Sie wahr, welche Gefühle sie wirklich haben. Sprechen Sie zuerst mit einem anderen Erwachsenen darüber, wie es Ihnen in dieser Situation wirklich geht und nehmen Sie so dem Gefühl die Spitze der Bedrohlichkeit. Wählen Sie als Gesprächspartner jemanden, den Sie für besonnen halten. Sie können auch professionelle Gesprächspartner per Telefon oder Videokonferenz beiziehen. Dazu zählen das Kriseninterventionszentrum, die Hotline der Psychosozialen Dienste Wien, die Telefonseelsorge, der 24h Frauennotruf, und die Kinder- und Jugendberatung Rat auf Draht. Auch viele PsychotherapeutInnen bieten in diesen Tagen via Telefon und Internet Unterstützung an.
Sie brauchen in weiterer Folge auch Ihren Kindern gegenüber nicht so zu tun, als wären Sie von der Situation unbelastet. Wählen Sie Ihren Kindern gegenüber eine authentische und altersgerechte Ausdrucksform, und erklären Sie ihnen auch die Situation altersgerecht. Dabei helfen Videos wie das der Stadt Wien, das auf YouTube unter dem Titel „Das Coronavirus Kindern einfach erklärt“ zu finden ist.
Vermeiden Sie Ausdrücke, die Ihre Kinder nicht verstehen würden. Was man nicht verstehen kann, macht unnötig Angst. Ermöglichen Sie so gut es geht Rückzugsgelegenheiten für sich und Ihre Kinder, und akzeptieren Sie, dass Ihr Kind in einer solchen Zeit anhänglicher sein kann als sonst. Geben Sie so gut Sie gerade können Sicherheit und Geborgenheit. Verzichten Sie auf große Erziehungsmaßnahmen und auf Strafen. Wenn wir uns ehrlich sind, dienen solche Maßnahme in einem solchen Augenblick eher der Entlastung des Erwachsenen und nicht der des Kindes. Versuchen Sie Ihr Kind durch Lob in positiven und konstruktiven Verhaltensweisen und Haltungen zu bestärken.
Erkundigen Sie sich hinsichtlich Entspannungsübungen. Sehen Sie sich beispielsweise Youtube-Anleitungen zu progressiver Muskelentspannung und Herzkohärenzatmung mit Ihren Kindern gemeinsam an und machen Sie diese Übungen gemeinsam. Das erleichtert Sie nicht nur jeden einzeln, sondern ermöglicht Ihnen eine angstbewältigende Gemeinsamkeitserfahrung, die für Ihre Kinder jetzt und in einer zukünftigen Erinnerung an diese Zeit wichtig sein kann.
Nutzen Sie Online-Angebote wie die Website des Bundesverbands Österreichischer PsychologInnen, wo weitere Hinweise zum guten Umgang mit Häuslicher Isolation und Quarantäne zu finden sind.

Wie beendet man einen Streit? Gibt es Gesten oder Rituale dafür?

Lassen Sie uns grob unterscheiden:
1) Eine Meinungsverschiedenheit, in der man auch akzeptieren kann, dass man bei unterschiedlichen Meinungen bleibt.
2) Eine Situation, in der man Dinge gesagt hat, die die andere Person verletzt haben. Vielleicht hat man sogar etwas gesagt, in der Absicht, die andere Person zu verletzen.
Meine Gedanken beziehen sich auf Fall 2.
Ich empfehle Ihnen, ernstgemeint um Verzeihung zu bitten. Und tun Sie das nur, wenn Sie es tatsächlich ernst meinen.

Das beinhaltet:
a) Sagen Sie, was Sie getan haben, das Ihnen leid tut. Verzichten Sie dabei auf jede Rechtfertigung.
b) Drücken Sie aus, dass es Ihnen leid tut, Ihr Gegenüber damit verletzt zu haben.
c) Überlegen Sie, was Sie in Zukunft tun können, um eine Wiederholung einer Verletzung gleicher Art zu verhindern. Sagen Sie Ihrem Gegenüber, was sie dafür tun wollen. Seien Sie konsequent bei der Umsetzung dieser Maßnahme. Ihre Entschuldigung ist genau so viel wert, wie Ihre Verlässlichkeit bei dieser Maßnahme.
d) Bieten Sie etwas zum Ausgleich für die verursachte Verletzung an. Vielleicht ein kleiner Gefallen, eine kleine Aufmerksamkeit, etwas gemeinsame gute Zeit, für die Sie Planung und Umsetzung verantworten.
Ein solcher Ausgleich kann als Geste oder Ritual verstanden werden, wodurch spürbar gemacht wird, dass man einen Streit gemeinsam hinter sich gelassen hat.

Vielen Dank für deine Gedanken!